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MUNZINGER Personen
Helmut Schmidt

Helmut Schmidt

deutscher Politiker und Publizist; Bundeskanzler (1974-1982); SPD
Geburtstag: 23. Dezember 1918 Hamburg-Barmbek
Todestag: 10. November 2015 Hamburg-Langenhorn
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 09/2017 vom 28. Februar 2017 (fa)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 44/2022


Wichtige Stationen im Überblick

1939 - 1945 Soldat im Zweiten Weltkrieg
1945 - 1949 Studium der Staatswissenschaften und Volkswirtschaft in Hamburg (Abschluss: Dipl.-Volkswirt)
1946 Beitritt zur SPD
1947 - 1948 Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS)
1949 - 1953 Tätigkeit in der Behörde für Wirtschaft und Verkehr in Hamburg
1953 - 1962 Mitglied des Bundestags
1961 - 1965 Senator für Inneres in Hamburg
17.02.1962 Flutkatastrophe in Hamburg
1965 - 1987 Mitglied des Bundestags
1967 - 1969 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion
03.1969 - 1984 Stellv. Vorsitzender der SPD
10.1969 - 07.07.1972 Bundesminister für Verteidigung
11.1969 Unterzeichnung des lange umstrittenen Atomwaffensperrvertrags
07.07.1972 - 19.11.1972 Bundesminister der Wirtschaft und Finanzen
15.12.1972 - 1974 Bundesminister der Finanzen
16.05.1974 - 01.10.1982 Bundeskanzler
15.12.1976 Wiederwahl zum Bundeskanzler
1977 Unnachgiebige Position gegenüber RAF-Terrorismus; übernimmt politische Verantwortung für den Tod des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer
05.11.1980 Wiederwahl zum Bundeskanzler
05.02.1982 gewinnt Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag
17.09.1982 Bruch der sozial-liberalen Koalition
01.10.1982 Misstrauensvotum der CDU/CSU und FDP; Helmut Kohl wird neuer Bundeskanzler
1983 Mitbegründer des InterAction Council früherer Regierungschefs
05.1983 - 11.2015 Mitherausgeber der Wochenzeitung "DIE ZEIT"
1987 Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag
1987 "Menschen und Mächte" (Memoiren)
2005 Adenauer-de-Gaulle-Preis 2005
2008 "Außer Dienst. Eine Bilanz"
2010 Henri-Nannen-Preis für sein journalistisches Lebenswerk
2010 "Unser Jahrhundert. Ein Gespräch" (mit Fritz Stern)
2015 "Was ich noch sagen wollte"

Herkunft

Helmut Heinrich Waldemar Schmidt kam 1918 in Hamburg-Barmbek als Sohn des Volksschullehrers und Diplomhandelslehrers Gustav Schmidt († 1981) und dessen Frau Ludovica zur Welt. Der Vater, der ein unehelicher Sohn eines jüdischen Bankiers war, erzog Sch. und dessen Bruder Wolfgang mit Strenge. Die jüdischen Wurzeln vertuschte die Familie während des Nationalsozialismus.

Ausbildung

Sch. machte an der Hamburger Lichtwarkschule 1937 Abitur und war nach eigener Aussage "innerlich auf den Beruf des Städtebauers, auch des Architekten vorbereitet". Der Zweite Weltkrieg machte diese Pläne zunichte. Sch. musste zum Reichsarbeitsdienst, anschließend als Wehrpflichtiger zur Flakartillerie. Ab 1939 war er Soldat im Zweiten Weltkrieg, 1941/1942 kämpfte er an der Ostfront in einer Panzerdivision, war dann als Referent für Ausbildungsvorschriften dem Oberkommando der Luftwaffe zugeteilt und 1944/1945 an der Westfront eingesetzt, zuletzt als Oberleutnant und Batteriechef. Rückblickend bewerteten einige Beobachter die Kriegsjahre als prägende Erfahrung für Sch.s späteres Handeln und Auftreten (vgl. u. a. "Oberleutnant der Nation" in SZ, 11.11.2015).

Nach kurzer britischer Kriegsgefangenschaft (April bis Aug. 1945) studierte er von 1945 bis 1949 in Hamburg Staatswissenschaften und Volkswirtschaft (Abschluss: Diplom-Volkswirt). Früh politisch engagiert, wurde Sch. 1946 Mitglied der SPD und war 1947/1948 Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS).

Wirken

Die Berufstätigkeit begann Sch. 1949 als Referent, dann Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung in der Behörde für Wirtschaft und Verkehr in Hamburg (bis 1953, ab 1952 auch Verkehrsdezernent).

Politische Anfänge im Bundestag1953 wurde Sch. erstmals in den Bundestag gewählt. Ab 1957 war er Mitglied des Fraktionsvorstands und galt nicht nur wegen seiner rhetorischen Begabung bald als einer der profiliertesten Vertreter der jüngeren Generation im Bundestag. Beachtung fand der als "Schmidt-Schnauze" titulierte Politiker als Verkehrs- und Militärexperte und scharfer Kritiker der Regierungen von Konrad Adenauer (CDU; 1949-1963) und des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU). Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um eine mögliche Atombewaffnung Deutschlands setzte er sich ab Mitte der 1950er Jahre entschieden gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr ein.

Hamburger Innensenator 1961-1965Im Herbst 1961 übernahm Sch. das Amt des Hamburger Polizeisenators (ab 1962: Innensenator) und legte Anfang 1962 sein Bundestagsmandat nieder. In Hamburg erwarb er sich mit seinem energischen und umsichtigen Eingreifen während der Hochwasserkatastrophe im Febr. 1962 einen Namen als Krisenmanager.

Rückkehr in den Bundestag - Arbeit in Fraktion und ParteiBei der Bundestagswahl im Sept. 1965 konnte sich Sch., der seit 1958 Mitglied im Bundesvorstand der SPD war und beim SPD-Parteitag im Nov. 1964 in das zehnköpfige Schattenkabinett des Parteivorsitzenden Willy Brandt aufgenommen worden war, erneut ein Mandat sichern. Die Regierung führte weiterhin Ludwig Erhard mit einer CDU/CSU-FDP-Koalition. Sch. wurde zunächst stellv. Vorsitzender seiner Fraktion. Nach dem Tod von Fraktionschef Fritz Erler am 22. Febr. 1967 stieg Sch. erwartungsgemäß zum Fraktionsvorsitzenden auf. Zuvor war es im Herbst 1966 durch den Rücktritt der FDP-Minister zu einer Regierungskrise in Bonn gekommen, die im Nov./Dez. 1966 zur Bildung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) führte. Sch. arbeitete als Fraktionschef vertrauensvoll mit dem Kollegen Rainer Barzel von der CDU/CSU-Fraktion zusammen. Ebenfalls 1967 zog Sch. ins SPD-Präsidium ein und übernahm im März 1968 den stellv. Vorsitz der SPD.

Bundesverteidigungsminister 1969-1972Nach der Bundestagswahl im Sept. 1969, die zu einem Regierungswechsel in Bonn führte, wurde Sch. Ende Okt. 1969 Verteidigungsminister im ersten SPD/FDP-Kabinett von Willy Brandt, der nach der 20-jährigen Regierungszeit von CDU/CSU der erste sozialdemokratische Bundeskanzler wurde. Sch. vertrat auch in dem Regierungsamt seine bereits in den Büchern "Verteidigung oder Vergeltung" (1961) und "Strategie des Gleichgewichts" (1969) dargelegte These, dass der Frieden nur durch ein militärisches Gleichgewicht zwischen den möglichen Feinden bewahrt werden könnte, wobei er gleichzeitig das lange von den USA propagierte Szenario einer massiven nuklearen Vergeltung ablehnte, da dies in jedem Fall eine schwere Gefährdung, wenn nicht gar die Vernichtung für Deutschland bedeutet hätte. Als Verteidigungsminister sorgte Sch. auch dafür, dass an der innerdeutschen Grenze keine atomaren Sperrmittel (Minen) verlegt wurden, wie es die USA erwogen hatten. In seine Amtszeit fiel Ende Nov. 1969 die Unterzeichnung des lange umstrittenen Atomwaffensperrvertrags durch die Bundesregierung.

In der Bundeswehr stieß Sch. einige Reformen an. Im Lauf des Jahres 1970 nahm u. a. die von Thomas Ellwein geleitete Reformkommission zur Neuordnung der Bildung und Ausbildung in der Bundeswehr ihre Arbeit auf. Sie legte Anfang 1971 ein Rahmenkonzept vor, das neue Wege zur Verbesserung der Effektivität und Attraktivität der Bundeswehr aufzeigte und u. a. die Verknüpfung von fachlicher Ausbildung und militärischer Verwendung empfahl. Einschneidende Änderungen nahm Sch. an der personellen Spitze der Bundeswehr vor. Er ließ den wegen seiner Haltung zum Konzept der "Inneren Führung" umstrittenen Generalmajor Hellmut Grashey (stellv. Inspekteur des Heeres) in den Ruhestand versetzen und zum 1. Okt. 1970 weitere 21 Generale und Admirale sowie eine Reihe von Obersten verabschieden. Das schon länger diskutierte Führungskonzept der Bundeswehr - die "Innere Führung" und das damit verbundene Leitbild des Staatsbürgers in Uniform - blieb unter Sch.s Amtsführung umstritten. Im Sept. 1971 fasste das Bundeskabinett den Beschluss, u. a. zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit die Wehrpflicht von 18 auf 15 Monate herabzusetzen.

Finanzminister 1972-1974Sein Amt auf der Hardthöhe musste Sch. im Juli 1972 verlassen, nachdem Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller im Zusammenhang mit der Währungskrise im Juli 1972 zurückgetreten und Sch. für die Zeit bis zur vorgezogenen Neuwahl vom 19. Nov. 1972 dessen Nachfolger geworden war. Neuer Verteidigungsminister wurde Georg Leber (SPD). Während des von wirtschaftlichen Themen dominierten Bundestagswahlkampfs 1972 und nach dem Sieg von SPD und FDP bei dieser Wahl (19.11.1972) entwickelte sich Sch. endgültig zum "Zweiten Mann" im Kabinett Brandt. Er erhielt bei der Regierungsbildung das Finanzministerium mit erweiterten Kompetenzen, das Amt des Wirtschaftsministers übernahm der FDP-Politiker Hans Friderichs. In seiner Rede zum Bundeshaushalt 1974 im Okt. 1973 betonte Sch. das unbedingte Primat der Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik.

Wahl zum BundeskanzlerDie Affäre um den enttarnten DDR-Agenten Günter Guillaume, der im Bundeskanzleramt gearbeitet hatte, führte am 7. Mai 1974 zum Rücktritt von Bundeskanzler Brandt. Daraufhin wurde Sch. im Bundestag am 16. Mai 1974 mit 267 von 492 Stimmen zum fünften Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Er präsentierte ein deutlich verjüngtes Kabinett.

1. Amtszeit 1974-1976Sch.s Kanzlerschaft stand von Anfang an im Schatten der weltweiten Wirtschaftsrezession, der sich auch die Bundesrepublik nicht entziehen konnte. Ab Mitte 1975 wurden zwar konjunkturelle Aufschwungstendenzen spürbar, doch lag die Preissteigerungsrate 1976 immer noch bei durchschnittlich 4,5 %. Im internationalen Vergleich bedeuteten diese Zahlen allerdings einen hervorragenden Wert und brachten der Stabilitätspolitik von Sch. weltweite Anerkennung ein.

Außenpolitisch setzte Sch. den Kurs seines Vorgängers Brandt fort, vermied aber jede Entspannungseuphorie in der Ostpolitik. Im westlichen Ausland waren Sch.s Sachkunde und Tatkraft, insbesondere in wirtschaftlichen Fragen, hoch geschätzt und seine guten Beziehungen zum französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing galten als beispielhaft. Zusammen mit diesem rief Sch. 1975 den später jährlich stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel (später G7- bzw. G8-Gipfel) ins Leben, bei dem sich Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen über die Weltwirtschaftslage berieten. Die britische Financial Times erklärte Sch. zum "Mann des Jahres" 1975. In Sch.s erste Amtsperiode als Bundeskanzler fielen u. a. auch die Ratifizierung der Normalisierungsverträge mit der ČSSR (7/1974) und Polen (5/1976) sowie die Unterzeichnung der Verträge zur "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) und dort auch die erste Begegnung mit DDR-Staatschef Erich Honecker (8/1975).

Sch.s Ansehen im In- und Ausland stand zunehmend in Kontrast zur Akzeptanz seiner Partei, die bei einer Reihe von Landtagswahlen empfindliche Stimmenverluste hatte hinnehmen müssen und in Niedersachsen (1976) sogar aus der Regierung verdrängt wurde. Deshalb richtete die SPD ihren Bundestagswahlkampf 1976 auf die Leistungsbilanz des Bundeskanzlers aus und war damit erfolgreich: Die Wahl am 3. Okt. 1976 brachte einen knappen Wahlsieg der SPD/FDP-Koalition und am 15. Dez. 1976 wurde Sch. erneut zum Bundeskanzler gewählt.

2. Amtszeit 1976-1980Seine zweite Kanzlerschaft war geprägt von Diskussionen über die Finanzlöcher in der Rentenfinanzierung, den sog. Radikalenerlass (Prüfung der Verfassungstreue von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst) sowie über das Energieprogramm der Bundesregierung (mit einem Ja zum begrenzten Ausbau der Kernenergie) und von Differenzen mit der US-Regierung unter Jimmy Carter. Hinzu kamen innenpolitische Spannungen im Zusammenhang mit den gewalttätigen Aktionen des Terrorismus der Roten-Armee-Fraktion (RAF) seit Beginn der 1970er Jahre. Am 3. Juli 1979 schaffte der Bundestag zudem nach langen parlamentarischen Auseinandersetzungen die Verjährung für Naziverbrechen ab.

Bei all diesen Herausforderungen setzte Sch. auf die praktische Vernunft, präsentierte sich - teilweise zum Leidwesen der eigenen Partei - vor allem als Macher und Pragmatiker, wobei er das pragmatische Handeln immer mit moralischen Zwecken verband. Beobachter sahen ihn in der Tradition des Philosophen Karl Popper und dessen Idee des piecemeal social engineering, einer Verbesserung der Verhältnisse Schritt für Schritt, statt der Verfolgung eines dogmatischen Plans zur Erlangung eines ideologisch fixierten Ziels.

InneresDie innenpolitische Situation eskalierte mit der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback (7.4.1977), des Bankiers Jürgen Ponto (30.7.), der Entführung (5.9.) und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer (19.10. tot aufgefunden) durch RAF-Terroristen, der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" durch palästinensische Terroristen, die am 18. Okt. mit der gewaltsamen Geiselbefreiung auf dem Flughafen in Mogadischu endete, und dem viel diskutierten Selbstmord der inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der Nacht zum 18. Okt. 1977 im Hochsicherheitstrakt der Strafvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Sch. übernahm vor dem Bundestag die politische Verantwortung für den Tod des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, der Opfer der "Staatsräson" geworden war, und für das vielfach kritisierte, harte Krisenmanagement im sog. "deutschen Herbst". Positiv wurde rückblickend bewertet, dass Sch. bei aller Härte beim Kampf gegen den Terrorismus keine Einschränkungen rechtsstaatlicher Grundsätze zugelassen habe.

ÄußeresAußenpolitisch konnte Sch. die Interessengegensätze mit Washington beim Nuklearexport, der von Carter forcierten Menschenrechtspolitik und den hoch gespannten Erwartungen der USA hinsichtlich einer deutschen Wachstumspolitik abbauen. In der Nahost-Frage sprach sich Sch. damals für eine Beteiligung der Palästinenserorganisation PLO an Friedensverhandlungen, für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und ihr Recht auf einen eigenen Staat aus und begrüßte die Friedensinitiative des ägyptischen Staatspräsidenten Anwar el Sadat. Im Juli 1978 war Sch. u. a. Gastgeber einer EG-Gipfelkonferenz in Bremen, die u. a. über ein neues Europäisches Währungssystem (EWS) beriet. Ein weiteres herausragendes Ereignis war der westliche Wirtschaftsgipfel am 28./29. Juni 1979 in Tokio um die zukünftige Energie- und Erdölpolitik. Von politischer Bedeutung waren 1978 auch die Staatsbesuche in Bonn von Königin Elizabeth II., Jimmy Carter, des irischen Premiers Jack Lynch und des sowjetischen Staatschefs Leonid Breschnew.

Bei einem Vierergipfeltreffen zwischen Sch., Carter, Giscard und dem britischen Premier James Callaghan in Guadeloupe Anfang 1979 erreichte der deutsche Kanzler deren politisch entscheidende Zustimmung zum NATO-Doppelbeschluss, der die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa und insbes. auch in Deutschland vorsah, falls die Abrüstungsgespräche mit der Sowjetunion über deren SS-20-Raketen scheitern sollten. Sch. hegte dabei die Hoffnung, in der Abrüstung zu einer "Null-Lösung" für Europa zu kommen, wie es 1987 auch geschah. Mit seiner Haltung in Rüstungs- und Energiefragen geriet Sch. aber weiter in Konflikt mit seiner Partei. Trotzdem warb er auf dem Berliner SPD-Parteitag im Dez. 1979 noch erfolgreich für den umstrittenen NATO-Doppelbeschluss und für einen begrenzten Ausbau der Kernenergie.

Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, auf den US-Präsident Carter u. a. mit einem Getreideboykott und dem Boykott der Olympischen Spiele in Moskau reagierte, sorgte für erhebliche Spannungen im westlichen Bündnis. Im Febr. 1980 forderten Sch. und Giscard d'Estaing die Sowjetunion in einem gemeinsamen Communiqué auf, ihre Interventionstruppen aus Afghanistan abzuziehen. In der Frage des Olympiaboykotts überließ es Sch. den nationalen Sportverbänden, die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme zu fällen.

3. Amtszeit 1980-1982Bei der Bundestagswahl am 5. Okt. 1980 stieg der Stimmanteil der SPD knapp auf 42,9 % (+0,3 %) und derjenige der FDP deutlich auf 10,6 % (+2,7 %), während die Unionsparteien schwere Verluste hinnehmen mussten (44,5 %; -4,1 %). Am 5. Nov. 1980 wurde Sch. als Bundeskanzler bestätigt und führte sein 3. Kabinett ohne große personelle Veränderungen weiter.

In seiner Regierungserklärung vom 24. Nov. 1980 stellte Sch. die Energiepolitik, die Redimensionierung des Haushalts, die Frage der Montanmitbestimmung und die europäische Agrarpolitik als vorrangig heraus. Wachsende Sorgen bereitete in der Folge die Wirtschaft, deren Wachstum sich nach einem vorübergehenden Konjunkturaufschwung wieder deutlich verlangsamt hatte. Die Teuerungsrate wurde für 1981 mit 6,0 % (Vorjahr: 5,4 %) angegeben. Die Zahl der Arbeitslosen lag 1981 durchschnittlich bei rund 1,3 Mio. (Arbeitslosenquote: 4,8 %). Für politischen Zündstoff sorgte zudem die bis Ende 1980 auf 460,8 Mrd. DM angestiegene öffentliche Verschuldung (+12,6 % gegenüber 1979). Der Bundeshaushalt 1981 sah eine Rekordneuverschuldung von 33,78 Mrd. DM vor. Das im Dez. 1981 verabschiedete Sparpaket der Bundesregierung mit geplanten Haushaltsentlastungen von über 18 Mrd. DM kam erst nach einem heftigen Meinungsstreit zwischen den Koalitionspartnern zustande, was die Spekulationen um einen möglichen vorzeitigen Bruch der Koalition weiter anregte. Die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen sowohl zwischen den Regierungsparteien SPD und FDP, als auch zwischen Sch. und Teilen der SPD wurden wiederum 1982 bei der Debatte um ein Beschäftigungsprogramm deutlich.

Sch.s schwierig gewordenes Verhältnis zu Teilen der SPD machte sich auch in der sicherheitspolitischen Debatte bemerkbar, die sich 1980 und 1981 ganz auf den NATO-Doppelbeschluss konzentrierte. Die Differenzen Sch.s mit den Nachrüstungsgegnern führten zu einer Rücktrittsdrohung im Mai 1981. Ende Nov. 1981 begannen in Genf amerikanisch-sowjetische Gespräche zur Rüstungsbegrenzung, in die US-Präsident Ronald Reagan eine "Null-Lösung" (Verzicht auf Stationierung neuer amerikanischer Atomwaffen in Westeuropa bei Rücknahme der sowjetischen SS 20-Mittelstreckenraketen) einbrachte.

Angesichts der immer heftiger gewordenen Auseinandersetzungen in der Koalition und in der Partei um die Wirtschafts-, Finanz- und Sicherheitspolitik stellte Sch. am 5. Febr. 1982 überraschend im Bundestag die Vertrauensfrage, die mit einem einstimmigen Votum der Koalition beantwortet wurde und als Versuch zur Disziplinierung des Regierungslagers galt. Im März 1982 nahm Sch. die deutliche Wahlniederlage seiner Partei bei der Landtagswahl in Niedersachsen zum Anlass, kritisch auf die SPD-internen Unstimmigkeiten zu verweisen. Er bezog dabei auch gegen den von Willy Brandt betriebenen Integrationskurs nach links Stellung. Auf dem Münchener SPD-Parteitag im April 1982 wurde Sch. als stellv. Parteivorsitzender bestätigt, erhielt aber deutlich weniger Stimmen als der wiedergewählte Willy Brandt (365:386 Stimmen). Sch. räumte auf dem Parteitag der SPD das Recht ein, über das aktuell Mögliche hinaus zu planen und gab eigene Fehler zu, bestand aber gleichzeitig auf seiner Richtlinienkompetenz als Bundeskanzler.

Zerbrechen der SPD-FDP-Koalition - RegierungswechselBei den Beratungen über die Eckdaten des Haushalts für 1983 kamen die Spannungen in der Koalition überdeutlich zu Tage und die Koalition brach - wie vielfach erwartet - am 17. Sept. 1982 auseinander, als die FDP-Minister einer von Sch. geplanten Entlassung durch Rücktritt zuvorkamen. CDU/CSU und FDP einigten sich auf die Durchführung eines konstruktiven Misstrauensvotums und Neuwahlen im März 1983. Das Misstrauensvotum hatte am 1. Okt. 1982 mit 256 gegen 235 Stimmen Erfolg und beendete das kurze Zwischenspiel einer SPD-Minderheitsregierung. Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl löste Sch. am 1. Okt. 1982 als Bundeskanzler ab.

Rückzug aus Parteispitze und aktiver PolitikBereits Ende Okt. 1982 verzichtete Sch. auf eine weitere Kanzlerkandidatur und begründete diesen Entschluss in erster Linie mit seiner angegriffenen Gesundheit, deutete aber auch seine Enttäuschung über den Mangel an politischer Disziplin und Solidarität innerhalb der eigenen Partei an, der ihm in der letzten Phase seiner Kanzlerschaft das Regieren zunehmend erschwert habe. Ungeachtet aller Vorbehalte gegen seinen Regierungsstil wurde Sch.s Verzicht in der nationalen und internationalen Presse allgemein bedauert. Die meisten Kommentatoren waren sich im Urteil einig, dass ein großer Staatsmann die politische Bühne verlassen hatte. Sein Nachfolger als Kanzler-Kandidat der SPD wurde Hans-Jochen Vogel, der die SPD bei der vorgezogenen Bundestagswahl vom 6. März 1983 nicht aus der neuen Oppositionsrolle herausführen konnte. Sch. gehörte als Direktkandidat des Wahlkreises 17 (Hamburg-Bergedorf) noch bis 1987 dem Bundestag an.

Bereits im Mai 1984 hatte sich Sch. auf dem SPD-Parteitag in Essen aus der Parteispitze verabschiedet. Dass sein Nachfolger als Bundeskanzler, Helmut Kohl, den NATO-Doppelbeschluss durchsetzen konnte und damit eine möglicherweise nicht unwesentliche Voraussetzung für spätere Abrüstungserfolge schuf, war nicht frei von persönlicher Tragik für Sch. Rainer Nahrendorf meinte damals im Handelsblatt (19.12.1988): "Kohl erntete, was ohne Helmut Schmidts Festhalten an seiner Politik nicht möglich gewesen wäre."

Weiteres EngagementAuch nach Abschluss seiner Politikerkarriere blieb Sch. politisch engagiert und als Elder Statesman im In- und Ausland gefragt. Im Dez. 1986 traf er sich mit Giscard d'Estaing zur Gründung eines Ausschusses für die Europäische Währungsunion und zur Vorbereitung einer Europäischen Zentralbank und übernahm im April 1989 den Vorsitz einer internationalen Kommission, die sich mit den "Finanzströmen in die Entwicklungsländer" befasste. Auf einem Kolloquium der "ZEIT" zur Lage der Menschenrechte stellte Sch. im Nov. 1998 sein Projekt einer "Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten" vor, die er als Ehrenvorsitzender des InterAction Council (IAC), einem Gremium ehemaliger Regierungschefs, erarbeitet hatte.

Tätigkeit als Publizist und ZEIT-HerausgeberSch. erwarb sich seit seinem Ausscheiden aus der Politik auch als Publizist und Autor Anerkennung. Bereits im Mai 1983 war er Mitherausgeber der Wochenzeitung "DIE ZEIT" (1985-1989 Mitglied der Geschäftsführung) geworden. Viel Beachtung fanden seine 1987 erschienenen Memoiren "Menschen und Mächte", seine "Weggefährten" betitelten Erinnerungen (1996), Gespräche mit berühmten Politikern seiner Zeit, die in dem Band "Jahrhundertwende" (1998) zusammengefasst wurden, sowie Bücher, in denen sich Sch. dem Gespräch mit Journalisten stellte (darunter "Hand aufs Herz", 2002, mit Sandra Maischberger und "Eigentlich wollte ich Städtebauer werden", 2003, mit Ulrich Wickert). Eine Analyse der weltpolitischen Lage und der Folgen der technischen und wirtschaftlichen Globalisierung lieferte Sch. in dem Band "Die Mächte der Zukunft" (2004), das - wie viele seiner Werke - bis auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste kletterte. 2008 zog Sch. in dem Werk "Außer Dienst" eine Bilanz seines Lebens und zeigte gleichzeitig die politischen Anliegen der Zukunft auf. Für sein publizistisches Lebenswerk wurde Sch. 2010 mit dem Henri-Nannen-Preis geehrt.

Standpunkte/DebattenSch. nahm in vielen Beiträgen, Interviews und Vorträgen pointiert zu aktuellen und grundsätzlichen politischen Fragen Stellung. Obwohl sein Stil dabei manchmal als brüsk und apodiktisch aufgefasst wurde, habe er - so die Neue Zürcher Zeitung (23.12.2008) - mit seinen Provokationen keine Effekthascherei betrieben und oft intensive Debatten angeregt. So beschäftigte er sich Anfang der 1990er Jahre intensiv mit Vorschlägen zur Bewältigung der deutschen Wiedervereinigung. Er übte dabei harte Kritik an der "miserablen Eigentumsregelung" in den neuen Bundesländern und verlangte die Preisgabe des Grundsatzes "Rückgabe vor Entschädigung". Viel Aufsehen erregte er auch mit der Empfehlung, in Westdeutschland drei Jahre lang auf Tariflohnzuwächse zu verzichten und sich auf den Ausgleich der Inflationsrate zu beschränken. Nicht zimperlich war Sch. in seiner Kritik an der Regierung Kohl, der er unverblümt Dilettantismus, Führungsschwäche und fehlende politische Moral vorwarf.

Im Dez. 1998 sorgte Sch. für Aufsehen, als er öffentlich die Fusionitis in der Wirtschaft als "amerikanischen Raubtierkapitalismus" kritisierte und die Motive für die Mega-Fusionen zumeist in der "Großmannssucht und Habgier der Manager, deren Gehälter jeden Rahmen der guten Sitten sprengen", begründet sah (zit. nach WELT, 14.12.1998). An seiner eigenen Partei beklagte er verschiedentlich Opportunismus und Führungsschwäche, unterstützte dann aber auf dem Sonderparteitag der SPD im April 1998 in Leipzig ausdrücklich den Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder. Im Vorfeld der von rot-grün knapp gewonnenen Bundestagswahl vom 22. Sept. 2002 stellte er in der ZEIT (36/2002) "fünf kardinale Aufgaben der Politik" (Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit, Aufholprozess Ostdeutschlands, Förderung von Innovation und Wirtschaftswachstum, Regelung der Zuwanderung und Wiederherstellung der deutsch-französischen Entente zum Nutzen der EU) vor. Später setzte er sich differenziert mit dem Krisenmanagement der zweiten Schröder-Regierung nach dem Zerwürfnis mit der George-W.-Bush-Administration wegen der Irakkrise (2002/2003) auseinander (vgl. SPIEGEL, 6/2003). Im Juni 2003 zählte Sch. zu den Mitunterzeichnern eines öffentlichen Briefs von 17 ehemaligen europäischen Spitzenpolitikern, die zur Geschlossenheit und Einigkeit mit den USA aufriefen.

Empörte Reaktionen rief Sch. 2004 mit einer Interview-Äußerung hervor, in der er die Anwerbung von Gastarbeitern in den 1960er Jahren als Fehler bezeichnete und ausführte, dass das Konzept von Multikulti mit einer demokratischen Gesellschaft schwer vereinbar sei (Hbg. Abl., 24.11.2004). Als wichtiges gesellschaftliches Problem in Deutschland machte er die demografische Entwicklung aus. Dabei lehnte er die Vorstellung, die zurückgehenden Geburtenziffern durch Einwanderung auszugleichen, wegen der zu erwartenden Integrationsprobleme kategorisch ab (vgl. WELT, 5.10.2004). Im Febr. 2007 löste Sch. mit einem Beitrag in der ZEIT (1.2.2007) über Hedgefonds und Finanzinvestoren, in dem er - noch bevor die Auswirkungen der globalen Finanzkrise deutlich wurden - vor der unkontrollierten Machtposition der Akteure auf den globalen Finanzmärkten warnte und eine stärkere Beaufsichtigung von Großspekulanten forderte, eine weitere Debatte aus.

Mit kritischen Kommentaren begleitete Sch. auch die Entwicklung der EU. Die - seiner Meinung nach - sprunghafte Erweiterung der Europäischen Union, bei der die alten, auf eine kleinere Union ausgerichteten Regeln nicht mitmodernisiert worden seien, stellte für ihn dabei ein schwerwiegendes Problem dar (WELT, 5.10.2004). Vor allem das Prinzip der Einstimmigkeit in vielen Entscheidungen bewertete er angesichts von 27 Mitgliedsstaaten kritisch und konstatierte eine Stagnation in der Union (SPIEGEL, 29.10.2007). Angesichts der Eurokrise forderte er - zusammen mit Giscard d'Estaing - 2010 eine entschlossene Umsetzung der Stabilisierungsmaßnahmen (u. a. Abbau von Staatsdefiziten, Regulierung der Finanzmärkte) sowie vor allem ein enges Zusammengehen von Deutschland und Frankreich und kritisierte in diesem Zusammenhang den "Hang zur wilhelminischen Großspurigkeit" (Cicero, 7/2010) der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Sch. setzte sich auch kritisch mit den zunehmenden - zumeist humanitär begründeten - militärischen Interventionen weltweit auseinander. Grundsätzlich betonte er dabei das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten. Die NATO warnte er davor, sich als Bündnis zur Umgestaltung der Welt zu verstehen. Das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan bewertete er demzufolge kritisch (vgl. u. a. ZEIT, 30.10.2008). Ebenso lehnte er die (seiner Meinung nach vor allem von den USA ausgehende) Strategie, Demokratisierung in anderen Ländern durch Einmischung - zum Teil auch durch wirtschaftspolitische Maßnahmen/Sanktionen - erzwingen zu wollen, ab. Konkret nahm er dabei China (Tibetfrage) und Russland (Tschetschenien) gegen Einmischungsversuche in Schutz. Überhaupt wurde die Entwicklung Asiens - und insbesondere Chinas - zu einem Thema, mit dem sich Sch. intensiv beschäftigte. So veröffentlichte er 2013 den Band "Ein letzter Besuch. Begegnungen mit der Weltmacht China", in das auch ein Gespräch mit seinem langjährigen Freund, dem Staatsgründer Singapurs Lee Kuan Yew, mit einfloss.

Nachdem er lange auf Kommentare zur Entwicklung und personellen Situation in der SPD verzichtet hatte, überraschte Sch. 2011 die Öffentlichkeit mit seiner positiven Einschätzung zu Peer Steinbrück, dem er die Fähigkeit zur Kanzlerschaft attestierte. Mit Steinbrück zusammen veröffentlichte er im gleichen Jahr das Gesprächsbuch "Zug um Zug". Auf dem SPD-Parteitag in Berlin im Dez. 2011 hielt Sch. - nach 12-jähriger Abstinenz - eine vielbeachtete Rede und formulierte dabei erneut ein Plädoyer für Europa. Bei der Bundestagswahl im Sept. 2013 landete die SPD mit Spitzenkandidat Steinbrück jedoch nur bei 25,7 % der Stimmen und ging - wie schon 2005 - eine Große Koalition mit der CDU/CSU unter Führung Merkels ein.

Würdigungen/NachrufeSch. genoss über die Jahre ein ungebrochen hohes Ansehen in der Bevölkerung. 2008 wurde er in einer Umfrage des Instituts forsa sogar zum "coolsten Kerl" Deutschlands gewählt. Anlässlich seines 90. Geburtstags erschienen 2008 in zahlreichen Zeitungen ausführliche Würdigungen Sch.s, die ihn als "nationale Ikone", als "Staatsmann" und als "moralische Autorität" charakterisierten. Als Errungenschaften seiner Kanzlerschaft wurden immer wieder die Bewältigung der Ölkrise, die erfolgreiche Eindämmung des linksradikalen Terrorismus, die Vorbereitung eines europäischen Währungssystems, die Etablierung von Gesprächen über die Weltwirtschaft (G7-Gipfel) und die Verhandlungen für den NATO-Doppelbeschluss angeführt. Daneben wurde aber auch die Qualität des politischen Publizisten Sch. anerkannt. Martin Rupps, Autor mehrerer Sch.-Biographien, erklärte, dieser empfange "Respekt für die Geradheit seiner moralischen und politischen Überzeugungen seit vielen Jahrzehnten und die Geradheit seiner Biografie" (TSP, 10.8.2008). Sch. selbst hatte wiederholt erklärt, dass das eigene Gewissen seine oberste Instanz für Entscheidungen geblieben sei (vgl. WELT, 9.5.2007). Das Leben Sch.s wurde Gegenstand zahlreicher Studien und Biographien, er selbst veröffentlichte 2015 noch ein persönliches Buch, "Was ich noch sagen wollte", über Lebenserinnerungen, Wegbegleiter und Vorbilder.

Nach seinem Tod am 10. Nov. 2015 widmeten die Medien Sch. umfassende Rückblicke und Nachrufe, in denen immer wieder betont wurde, dass er als Kanzler eher respektiert als geliebt worden sei, als politischer Publizist, Welterklärer und Klartextredner aber bis ins hohe Alter hinein große Anerkennung und Beliebtheit bei den Deutschen genossen habe, auch wenn er den Lauf der Welt gelegentlich mit "der ihm eigenen Arroganz des Überlegenen" kommentiert habe (vgl. Parlament, 16.11.2015). Der Journalist Theo Sommer charakterisierte ihn in der ZEIT Extra (12.11.2015) als einen "Staatsmann, der Stärke aus seinem Pflichtgefühl bezog". Er habe "nüchtern, kompetent und kosequent" regiert und sei "realistisch, urteilsstark, entscheidungsfreudig gewesen", so Sommer weiter.

Bundespräsident Joachim Gauck erklärte: "Wir trauern um einen der bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit. (...) Mit den Tugenden, die ihn auszeichneten – Unabhängigkeit des Geistes, Mut und Pflichtbewusstsein – wird er auch künftigen Politikergenerationen ein bleibendes Vorbild sein" (Kondolenzschreiben an Sch.s Tochter Susanne). Bundeskanzlerin Merkel würdigte Sch. als "politische Institution", Deutschland verdanke ihm viel (Pressestatement vom 10.11.2015). Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte ihn einen "großen Demokraten, einen europäischen Wegbereiter und eine globalen Geist", der fr. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) urteilte: "Wie nur wenige in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat Schmidt es verstanden, durch beherztes staatliches Handeln existenzielle Krisen zu meistern und zugleich den Menschen Orientierung in Zeiten der Unsicherheit zu geben" (vgl. TA, 11.11.2015). Auch zahlreiche ausländische Politiker äußerten ihren Respekt und Anerkennung. So nannte sein enger Freund Henry Kissinger ihn "das Gewissen unserer Zeit" und resümierte, Sch. habe die Geschäfte des Landes mit "Intelligenz, handwerklicher Gediegenheit und Stil" geführt (ZEIT, 12.11.2015).

Am 23. Nov. 2015 fand für Sch. in der Hamburger Michaeliskirche ein Staatsakt mit rd. 1.800 Gästen statt. In Reden wurde er von Bundeskanzlerin Merkel, dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und dem früheren US-Außenminister Henry A. Kissinger gewürdigt. Im Juni 2016 beschloss der Deutsche Bundestag die Errichtung einer Sch. gewidmeten Bundesstiftung, der "Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung", die an Leben und Wirken Sch.s erinnern, gleichzeitig aber auch Analysen zu Deutschlands zukünftiger Rolle in der globalen Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik erarbeiten soll.

Familie

Sch. heiratete während des Zweiten Weltkrieges 1942 die Lehrerin Hannelore (genannt "Loki"), geb. Glaser († 2010), mit der er bereits seit der Schulzeit befreundet war. 1944 wurde der gemeinsame Sohn Helmut Walter ("Moritzelchen"; * 26.6.1944; † 19. 2. 1945) geboren, der mangels medizinischer Versorgung im Alter von sieben Monaten an einer Infektion starb. Die nach dem Krieg in Hamburg geborene Tochter, Susanne Schmidt (* 8.5.1947), war als promovierte Volkswirtin für internationale Banken in London tätig und machte sich als kritische Wirtschaftsjournalistin einen Namen. Sie veröffentlichte 2010 das Buch "Markt ohne Moral. Das Versagen der Internationalen Finanzelite".

Der bekennende Raucher Sch. setzte sich wiederholt über das in öffentlichen Räumen bestehende Rauchverbot hinweg und war auch bei Fernsehauftritten nie ohne Zigarette zu sehen. Er interessierte sich für Philosophie, war Musik- und Kunstfreund, malte gerne und spielte Schach sowie Orgel und Klavier (früher gelegentlich auch öffentlich). Seine Freizeit verbrachte er gern in seinem Ferienhaus am Brahmsee.

Sch.s Ehefrau Loki Schmidt schrieb u. a. die Bücher "Schützt die Natur - Impressionen aus unserer Heimat" (1979), "Die botanischen Gärten Deutschlands" (1997) und "Loki. Hannelore Schmidt erzählt aus ihrem Leben" (2003). 1997 wurde sie von der russischen Akademie der Wissenschaften mit dem Ehrendoktor, 1999 von der Hansestadt Hamburg mit dem Professorentitel geehrt. 1976 rief sie das "Kuratorium zum Schutz gefährdeter Pflanzen" (seit 1990 kurz: "Loki Schmidt Stiftung") ins Leben und kürte 1980 zum ersten Mal und danach alljährlich die "Blume des Jahres".

1992 wurde auf Initiative der Eheleute Sch. aus Anlass ihres 50. Hochzeitstages die "Helmut und Loki Schmidt-Stiftung" errichtet. Diese soll dazu beitragen, "das Andenken an Helmut Schmidts Wirken für Freiheit und Einheit des deutschen Volkes, für Europa und für die Verständigung und Versöhnung unter den Völkern zu wahren".

Loki Schmidt starb im Okt. 2010. Die Trauerzeremonie fand am 1. Nov. in Hamburg unter Teilnahme von rd. 2.000 Trauergästen statt, darunter viel Politprominenz. Im Aug. 2012 bestätigte Sch., in seiner langjährigen Mitarbeiterin Ruth Loah († Febr. 2017) eine neue Partnerin gefunden zu haben.

Bereits während seiner dritten Kanzlerschaft musste Sch. im Okt. 1981 mit dramatischen Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus eingeliefert werden und erhielt einen Herzschrittmacher. Im Sommer 2002 erlitt Sch. einen schweren Herzinfarkt und wurde erneut operiert. Nach einem Gefäßverschluss im Sept. 2015 musste er wiederholt im Krankenhaus behandelt werden und starb schließlich am 10. Nov. 2015 in seinem Haus in Hamburg-Langenhorn. Er wurde auf dem Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf an der Seite seiner Frau Loki beigesetzt.

Werke

Veröffentlichungen (Auswahl): "Verteidigung oder Vergeltung" (61), "Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte" (69), "Bundestagsreden" (72; Hrsg. Peter Corterier), "Kritischer Rationalismus und Sozialdemokratie" (75), "Kontinuität und Konzentration" (75), "Als Christ in der politischen Entscheidung" (76), "Der Kurs heißt Frieden" (80), "Pflicht zur Menschlichkeit. Beiträge zu Politik, Wirtschaft und Kultur" (81), "Freiheit verantworten" (83), "Weltwirtschaft ist unser Schicksal" (83), "Eine Strategie für den Westen" (86), "Menschen und Mächte" (87; Memoiren), "Die Deutschen und ihre Nachbarn" (90), "Einfügen in die Gemeinschaft der Völker" (90; mit Marion Gräfin Dönhoff), "Kindheit und Jugend unter Hitler" (91; Koautor), "Ein Manifest. Weil das Land sich ändern muss" (92; Koautor), "Das Jahr der Entscheidung" (94), "Weggefährten. Erinnerungen und Reflexionen" (96), "Jahrhundertwende. Gespräche mit Helmut Kohl, Henry Kissinger, Ralf Dahrendorf, Rainer Barzel u. a." (98), "Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral" (98), "Globalisierung. Politische, ökonomische und kulturelle Herausforderungen" (98), "50 Jahre NATO" (99; Koautor), "Die Selbstbehauptung Europas. Perspektiven für das 21. Jahrhundert" (00), "Hand aufs Herz" (02; Sch. im Gespräch mit Sandra Maischberger), "Eigentlich wollte ich Städtebauer werden" (03; Sch. im Gespräch mit Ulrich Wickert), "Die Mächte der Zukunft" (04), "Auf dem Weg zur deutschen Einheit" (05), "Nachbar China" (zus. mit Frank Sieren), "Außer Dienst. Eine Bilanz" (08), "Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt" (09; Gespräch mit Giovanni Di Lorenzo), "Unser Jahrhundert. Ein Gespräch" (10; zus. mit Fritz R. Stern), "Sechs Reden" (10), "Religion in der Verantwortung" (11), "Zug um Zug" (11; zus mit Peer Steinbrück), "Verstehen Sie das, Herr Schmidt?" (12; Gespräche mit Di Lorenzo), "Ein letzter Besuch. Begegnungen mit der Weltmacht China" (13), "Mein Europa. Reden und Aufsätze" (13), "Was ich noch sagen wollte" (15), "Partner und Rivalen. Der Briefwechsel (1958-1992)" (15; Briefwechsel mit Willy Brandt; hrsg. und eingeleitet von Meik Woyke).

2022: Loki und Helmut Schmidt/Lilo und Siegfried Lenz: "Ihr ganz lieben Zwei". Briefwechsel 1965-2014. Hrsg. v. Maren Ermisch (2022).

Literatur

Literatur (Auswahl): W. M. Kahn, "Helmut Schmidt. Fallstudie über einen Populären" (73), Sibylle Krause-Burger, "Helmut Schmidt - aus der Nähe gesehen" (80), Dieter Hanitzsch, "Ein Kanzler namens Schmidt" (80), Hans Georg Lehmann, "Öffnung nach Osten. Die Ostreisen Helmut Schmidts und die Entstehung der Ost- und Entspannungspolitik" (84), Jonathan Carr, "Helmut Schmidt" (85; aktualisierte und erw. Neuauflage 93), Wolfgang Jäger/Werner Link, "Republik im Wandel (1974-1982) - Die Ära Schmidt" (87), Jochen Thies, "Helmut Schmidts Rückzug von der Macht - Das Ende der Ära Schmidt aus nächster Nähe" (88), Mainhardt Graf von Nayhauß, "Helmut Schmidt - Mensch und Macher" (89), Manfred Lahnstein, Hans Matthöfer (Hrsg.), "Leidenschaft zur praktischen Vernunft: Helmut Schmidt zum Siebzigsten" (89), Harald Steffahn, "Helmut Schmidt. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten" (90), Hans d'Orville, "Denken und Handeln in globaler Verantwortung" (93), Martin Rupps, "Helmut Schmidt. Politikverständnis und geistige Grundlagen" (97), M. Rupps, "Helmut Schmidt. Eine politische Biographie" (02), Michael Schwelien, "Helmut Schmidt. Ein Leben für den Frieden" (03), Hartmut Soell, "Helmut Schmidt. Vernunft und Leidenschaft" (03), Stefan Aust/Robert Fleck (Hrsg.): "Helmut Schmidt. Ein Leben in Bildern des SPIEGEL-Archivs" (05), M. Rupps, "Helmut Schmidt. Mensch, Staatsmann, Moralist" (08), Hans-Joachim Noack, "Helmut Schmidt. Die Biographie" (08), Detlev Bald, "Politik der Verantwortung. Das Beispiel Helmut Schmidt" (08), Hartmut Soell, "Helmut Schmidt. Macht und Verantwortung: 1969 bis heute" (08), Theo Sommer, "Unser Schmidt. Der Staatsmann und der Publizist" (10), Matthias Waechter, "Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing" (11), Dominik Pick, "Brücken nach Osten. Helmut Schmidt und die Polen" (11), Gunter Hofmann, "Willy Brandt und Helmut Schmidt. Geschichte einer schwierigen Freundschaft" (12), Rainer Hering, "'Aber ich brauche die Gebote...' Helmut Schmidt, die Kirchen und die Religion" (12), Jörg Magenau, "Schmidt-Lenz. Geschichte einer Freundschaft" (14), Sabine Pamperrien, "Helmut Schmidt und der Scheißkrieg. Die Biografie 1918-1945" (14), Thomas Birkner, "Mann des gedruckten Wortes. Helmut Schmidt und die Medien" (14), Günter Hofmann, "Helmut Schmidt: Soldat, Kanzler, Ikone" (15), M. Rupps, "Der Lotse. Helmut Schmidt und die Deutschen" (15), Thomas Karlauf, "Helmut Schmidt - Die späten Jahre" (16), Kristina Spohr, "Helmut Schmidt. Der Weltkanzler" (16).

Fernsehbeiträge (Auswahl): "Helmut Schmidt - Kanzler und Pianist" (08; CD mit Einspielungen von Werken Bachs und DVD mit dem Film "Helmut Schmidt außer Dienst" [von Sandra Maischberger u. Jan Kerhart]), "Wir Schmidts. Loki und Helmut - ein Leben" (09; Fernsehdokumentation von Gordian Maugg, Giovanni Di Lorenzo), "Der Kanzlersturz. Die Wende von 1982" (12; Dokumentarfilm von Frank Diederichs und Markus Gaal), "Helmut Schmidt. Lebensfragen" (13; Fernsehfilm von Sebastian Orlac und Ben von Grafenstein).

2018: Kristina Volke: "Heisig malt Schmidt. Eine deutsche Geschichte über Kunst und Politik". Sachbuch (2018).

Auszeichnungen

Auszeichnungen (Auswahl): Theodor-Heuss-Preis (77), Friedenspreis der Louise-Weiß-Stiftung in Straßburg (78), Europa-Preis für Staatskunst (79), Nahum-Goldmann-Medaille (80), Athena-Preis der Onassis-Stiftung (86), Freedom Award der Roosevelt-Stiftung (88), Neapel-Preis des Journalismus (90), Wurzacher Literaturpreis (90; für "Menschen und Mächte"), spanischer Journalismuspreis "Godo" (96), Carlo-Schmid-Preis (98), Dolf-Sternberger-Preis (03), Martin-Buber-Plakette (03), Oswald-von-Nell-Breuning-Preis der Stadt Trier (05), Adenauer-de-Gaulle-Preis 2005 (zus. mit Valéry Giscard d'Estaing), Henry-Kissinger-Preis (07), Weltwirtschaftlicher Preis des Instituts für Weltwirtschaft (07), Henri-Nannen-Preis (10; für sein journalistisches Lebenswerk), Point-Alpha-Preis (10; für seine Verdienste um die Einheit von Deutschland und Europa), Preis des Westfälischen Friedens (12; für sein Engagement für Europa), Eric-M.-Warburg-Preis der Atlantik-Brücke (12), Hanns-Martin-Schleyer-Preis (13), Deutsch-Französischer Medienpreis (14; zus. mit Giscard d'Estaing).

Ehrendoktorwürden u. a. der Harvard- und der Johns Hopkins University, USA, der Pariser Sorbonne, der britischen Universitäten Oxford und Cambridge, der Katholischen Universität Leuven (Belgien), der japanischen Keio-Universität, der Hamburger Bundeswehr-Universität, Universität Marburg; Ehrenbürger u. a. der Städte Bonn, Hamburg, Bremerhaven, West-Berlin (89) und Güstrow sowie von Schleswig-Holstein (98).

2003 wurde an der privaten International University Bremen der Lehrstuhl für internationale Geschichte nach Sch. benannt. Im gleichen Jahr wurde die Hamburger Bundeswehr-Universität in "Helmut-Schmidt-Universität" umbenannt.

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften/Ämter (Auswahl): Sch. war Mitbegründer des InterAction Council früherer Regierungschefs und war zehn Jahre lang dessen Vorsitzender. Er war Ehrensenator der Max-Planck-Gesellschaft und lange Jahre Ehrenvorsitzender der von ihm mitbegründeten Deutschen Nationalstiftung in Weimar.

Adresse

Letzte Adresse: c/o Helmut und Loki Schmidt-Stiftung, Neubergerweg 80, 22419 Hamburg, E-Mail: info@helmut-und-loki-schmidt-stiftung.de, Internet: www.helmut-und-loki-schmidt-stiftung.de




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